queering the subversive stitch – men and the culture of needlework

Ich sitze im Zug auf dem Weg ins Ruhrgebiet. Schräg gegenüber von mir wird gestrickt. Es ist eine Frau, die strickt. Warum kein Mann?

Seit Jahrhunderten wird uns das Bild der handarbeitenden Frau vermittelt. Joseph McBrinn setzt sich in seinem Buch von 2021, welches den Titel »Queering the Subversive Stitch – Men and the Culture of Needlework« trägt, mit der Rolle der Männer in der Welt der Handarbeiten auseinander. Gleich zu Beginn hebt er hervor, dass Theorien über die Stickerei äquivalent auf alle Bereiche der Nadel- und Handarbeiten ausgeweitet werden können. Für alle die das Sachbuch und die darin enthaltene kulturwissenschaftliche Diskussion selbst lesen möchten, kommt hier der Hinweis: Achtung Spoiler! Im Folgenden schildern wir Euch zu welchem Schluss McBrinn in seiner Analyse kommt.

Einer Einleitung, einer Danksagung, einer langen Liste voller Bildverweise folgen sechs Kapitel die folgende Titel tragen: »Nur Weichlinge und Frauen nähen«: Eine Einführung, Handarbeit und die Entstehung von Männlichkeit: Der »Stachel« des Patriarchats, »Töten des Engels im Haus«: Viktorianische Männlichkeit, häusliches Kunsthandwerk und homosexuelle Panik, »Das Netzgewebe«: Amateurhafte Handarbeit, Männlichkeit und Modernismus, Männlichkeit und die Politik der Kleidung: Von den bösen Buben der postmodernen Kunst zum »Boys that sew club« des neuen Jahrtausends, Schlussfolgerung: Männer, die sticken.

Das Buch liest sich wie eine stille Diskussion, denn immer wieder greift der Autor auf Argumente sowie Publikationen anderer zurück und geht auf sie ein. Einsteigen tut er mit Virginia Woolf und »A Room of One’s Own«. Weitere feministische Schriften folgen, die eine rebellische Stimmung vermitteln. Mit dabei ist »The Subversive Stitch – Embroidery and the Making of the Feminine« 1984 von Rozsika Parker geschrieben, auf dessen Arbeit sich McBrinn auch in seinem Titel bezieht.

Nach einer historischen Einordnung, die von handarbeitenden Seglern und Kriegsveteranen erzählt, verdeutlicht er seine zwei wesentlichen Punkte:

  1. Wie der Ausschluss, und die Eliminierung von Männern aus den Nadelarbeiten in der Geschichte zur Herausbildung moderner Männlichkeiten beitrug.
  2. Die völlig übersehene, aber zentrale Präsenz der Handarbeit in medizinischen, rechtlichen und soziokulturellen Diskursen, die moderne, homosexuelle Identitäten hervorbrachte. Sowie ihre anschließende Vermittlung durch Kultur und Subkulturellen Widerstand.

Im Vergleich zwischen Frauen und Männern, erklärt er die Handarbeiten gleichermaßen als Freizeitbeschäftigung (»pleasure«) und Unterdrückung (»opression«) für die Frauen. Weiter geht er und identifiziert sie als Werkzeug der Subversion. Wohingegen Handarbeiten für die Männer wie ein Überwachungsapparat wirken, die ihre geschlechtlichen und sexuellen Identitäten still kontrollieren.

So drastisch dies klingt, werden in dem Buch auch zahlreiche Beispiele genannt, die beschreiben, wie Männer im Handarbeiten einen Zufluchtsort finden. Für viele Kriegsveteranen oder erkrankte (Männer) ist das kreative Arbeiten mit den Händen eine wirkungsvolle Behandlungsmethode. Und auch als schöner Zeitvertreib dienen die Nadelarbeiten den Seglern bei langen Fahrten. Zwar werden hier oft Materialien verwendet, deren primärer Zweck nicht in der Verarbeitung von Textilien liegt, was aber nicht bedeutet, dass weniger wertvolle Kunststücke entstehen.

Um handarbeitende Männer noch greifbarer zu machen, nennt McBrinn auch bekannte Männer. Ein Foto belegt die Stickarbeiten von König Gustav V. von Schweden. Auch der britische Schauspieler Ernest Thesinger wird mehrmals im Buch erwähnt. Dieser stickte nicht nur, sondern lehrte dies auch, um weiteren Männern die Handarbeiten näher zu bringen.

McBrinn kommt nach einer langen und ausführlichen Analyse zu dem Schluss, dass die Geschichte der Männer in den Handarbeiten erst noch geschrieben werden muss. Handarbeitende Männer unterbrechen die gewohnte Narrative. Damit bezieht er sich auch auf die hierarchischen Systeme, die durch die Kultur entstanden sind. Diese haben tiefe soziale, wirtschaftliche und politische Auswirkungen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. So schlussfolgert er, dass die weibliche Prägung der Handarbeit sich auch auf die in der Gesellschaft vorherrschende Homophobie wiederfindet:

»Das vorherrschende Verständnis von Handarbeit als weiblich und als etwas, das in Bezug auf das Männliche verboten oder unterdrückt werden muss, ist nichts anderes als eine Ausweitung der homophoben Gewalt und eine reale und gegenwärtige Gefahr.« ( McBrinn 2021: 161, eigene Übersetzung).

Dennoch haben Männer mithilfe der Handarbeiten auch einen Ort der Transformation gefunden. In seinem Schlusswort formuliert McBrinn den Diskurs rund um handarbeitende Männer als eröffnet.

Daran anschließend folgen 68 Seiten Quellen … Das Buch ist sehr wissenschaftlich und umfangreich, weshalb wir uns an dieser Stelle eindeutig von der Vollständigkeit der Wiedergabe distanzieren. Die genannten Beispiele verlieren sich in einem Meer von Theorien. Nichtsdestotrotz ist das Thema »Men and the Culture of Needlework« ein hoch interessantes und vor allem eins, welches uns in Zukunft sicherlich noch häufiger begegnen wird.

quellen:

McBrinn, Joseph (2021): Queering the Subversive Stitch, Men & the culture of needlework, London: Großbritannien, Bloomsbury Publishing.

liva essen, 08. oktober 2023