mending march 2023

»Man sieht das Hemd vor lauter Flicken nicht mehr«

Dieses Baumwoll-Nachthemd wurde vermutlich schon durch viele Hände gereicht: Von der großen Schwester zur Kleinen, dann wurde es an die Cousine weitergegeben, die es wiederum an ihre Kinder reichte. Wir fanden es auf Omas Dachboden. Aus Baumwolle gefertigt, besteht das Nachthemd heute fast nur noch aus Flicken. Löcher wurden gestopft, teilweise mit viel Mühe, manchmal weniger kunstvoll. Stoffstücke wurden unter- und aufgesetzt, mal mit der Hand, mal mit der Maschine. Es gibt kaum eine Flicktechnik, die an diesem Stück nicht angewendet wurde. Wahrscheinlich stammt das Nachthemd aus einer Bauernschaft in Schleswig-Holstein, die es während und in der Zeit nach der Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) trug. Die genaue Geschichte, die uns das Kleid erzählen möchte, können wir leider nicht mehr nachverfolgen. Sicher ist jedoch, dass es eine Geschichte des Reparierens und Flickens ist.

Was uns auch schon zum Thema führt. Nach dem #dryjanuary und dem #fitfebruary folgt nun der #mendingmarch. Eine Aktion die im Jahr 2017 von »The Black Squirrel« und weiteren Handarbeitsinitiativen in den Sozialen Medien gestartet wurde. Ziel ist es dem Thema »Flicken« mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und den Umgang mit Textilien zu schaffen und Motivation zum Reparieren zu wecken. Dazu gehören auch der Austausch und das Vermitteln von Wissen zu einzelnen Techniken.

Schnell werden willkürlich gestopfte Socken von Oma oder dicke Aufnäher auf den Knien von Kinderhosen mit den Begriffen »Flicken« und »Reparieren« assoziiert. Doch das kann auch ganz anders aussehen. Werkstätten wie die »Konfekt Kunststopferei Hamburg« oder »Repair and Share« aus Brüssel/Belgien zeigen, dass es auch anders geht.

In der Fast-Fashion-Welt in der wir heute leben wird Reparieren als Akt der Rebellion gesehen. Es ist ein Protest gegen die Wegwerfgesellschaft und für die Schönheit und Poesie des Erhaltens. Wusstet Ihr, dass zur Herstellung eines T-Shirts durchschnittlich 2.495l Wasser verwendet werden?* Oder dass Ein*e Deutsche*r im Jahr ca. 60 Kleidungsstücke kauft, jedes fünfte davon aber nie getragen wird?** Orsola de Castro, Gründerin von »Fashion Revolution« fast es in ihrem Buch »Loved Clothes Last« folgendermaßen zusammen: »In a society that is hell-bent on throwing, keeping is the ultimate act of rebelliousness.***

In genau dieser Wegwerfgesellschaft gehen Werte wie »Nachhaltigkeit« und »Wertschätzung« Hand in Hand mit den Techniken des »Flickens«. Das Nachthemd von Omas Dachboden in der Hand haltend, werden wir wieder an die Worte Vivienne Westwoods, und unser Mantra erinnert: »Buy less, choose well and make it last.«

quellen:

quellverzeichnis enthält externe links:

*Karl Dzuba, Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft (2023), 2.495 Liter Wasser zur Herstellung eines T-Shirts: https://www.eskp.de/klimawandel/2495-liter-wasser-zur-herstellung-eines-t-shirts-935646/ (letzter Zugriff: 28. Februar 2023)

**Julian Weiß & Caroline Reili, failier (2022), Fast Fashion – Definition, Fakten, Folgen für Mensch und Umwelt, April 2022: https://fairlier.de/wissen/fast-fashion/#Konsumverhalten (letzter Zugriff: 28. Februar 2023)

*** De Castro, Orsola (2021) Loved Clothes Last – How the Joy of Rewearing and Repairing Your Clothes Can Be a Revolutionary Act, 1. Auflage, London

liva hamburg, 05. märz 2023