maria stuarts gestickte autobiographie

Als Maria Stuart am 19. Mai 1568 die Grenze Englands erreicht, hat sie nicht nur die Loyalität ihrer Landsleute und die Liebe ihrer Familie verloren, sondern auch ihren einzigen Sohn und die schottische Krone.

Wer kennt sie nicht: Die berühmt berüchtigte Mary, Queen of Scots? In zahlreichen Opern, Filmen, Novellen, Biografien und Dokumentationen versucht man sich ihrer Person und ihrem Leben zu nähern. Dabei ist es eigentlich so offensichtlich: In ihren Handarbeiten hinterlässt Maria ihre eigene Version der Geschichte, in Form einer gestickten Autobiographie.

Geboren wird Maria Stuart 1542 in Schottland. Nur sechs Tage alt, stirbt ihr Vater König Jakob V. und Maria wird formell zur Königin von Schottland gekrönt. Mit einer Solengans (oder auch Basstölpel) oben links in dem von ihr gestickten Wandbehang »The Marian Hanging«, symbolisiert sie später ihre tiefe Verbundenheit zu Schottland. Damals war der Vogel bekannt dafür, vor den Küsten Schottlands zu fischen. »The Marian Hanging« entsteht während der Zeit ihrer englischen Gefangenschaft (1568-1585), dazu später mehr.

Mit dem frühen Tod ihres Vaters, ist Maria schon sechs Tage nach ihrer Geburt politisches Instrument und Machtmittel zugleich. Nachdem ein Ehevertrag mit dem englischen Thronerben annulliert wird und England gegen Schottland in den Krieg zieht, verbringt Maria ihre Kindheit in Frankreich. Nahezu romantisch erscheinen die Jahre auf dem europäischen Festland im Vergleich zu dem, was folgen soll. Sie genießt eine gute Ausbildung und heiratet 1558 ihren Jugendfreund den Dauphin Franz I. Die Leichtigkeit dieser Zeit und ihre spielerische Verbundenheit zum französischen Thronerben symbolisiert sie, in Form eines Delphins, in ihren Stickereien. In Frankreich erlernt sie das Handarbeiten. Damals ist die Stickerei »die visuelle Sprache der französischen Elite. Es ist [sic] eine Kultur der anspruchsvollen optischen Kommunikation, der Symbole und persönlichen Chiffren« (Hunter 1988, 19).

Durch die Hochzeit mit Franz wird sie zur französischen Königin ernannt. Das gemeinsame Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer. Franz stirbt 1560 und Maria steht allein da.

Als Fremde kehrt sie nach Schottland zurück. Begleitet wird sie auf ihren Seereisen, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg von dem französischen Seemann Nicholas de Villegaignon. Auf einer seiner Reisen nach Brasilien in den 1550er Jahren begegnet er dem Tuchan. Eine seiner Illustrationen dieses Vogels taucht auch später wieder in Marias Wandvorhang auf. Geprägt durch den französischen Katholizismus eckt Maria zurück in Schottland bei der protestantischen Bevölkerung an. Ihre siebenjährige Herrschaft in Schottland ist geprägt von Intrigen, Aufständen und religiösen Konflikten. Im Jahr 1567 wird ihr vorgeworfen am Mord ihres neuen Ehemanns, dem Vater ihres einzigen Sohns, beteiligt zu sein. Als sie daraufhin noch den Hauptangeklagten und Mordverdächtigen heiratet, wird sie 1568 dazu gezwungen abzudanken und auf Loch Leven Castle in Gefangenschaft gehalten.

Mithilfe eines Freundes gelingt ihr die Flucht aus der schottischen Gefangenschaft. Einen letzten Versuch zurück auf den Thron zu gelangen, startet sie mit 3.000 treuen Anhänger*innen. Auch in dieser Phase des Lebens spielen die Handarbeiten eine Rolle. Während eines Aufenthalts in Glasgow wird sie auf den Straßen von handgemachten Bannern begleitet: »Burn the witch. Kill the whore« (»Verbrennt die Hexe. Tötet die Hure«) steht auf ihnen. Nach der gescheiterten Rückeroberung flieht sie nach England.

Als sie im Mai 1568 in England ankommt, erwarten sie fast 19 volle Jahre der Gefangenschaft. Die erhoffte Hilfe ihrer Cousine Königin Elisabeth I. von England bleibt aus. Ein jahrelanger Konflikt um die rechtmäßige Erbfolge der englischen Krone prägt die Beziehung der zwei Cousinen. Viele Stickereien verweisen auf den langanhaltenden Konflikt. Da wäre die Referenz zu einer griechischen Sage und dem goldenen Apfel der Zwietracht. Dieser wurde vom trojaischen Prinzen an die schönste Frau vergeben und löste einen Krieg aus. Oder eine rothaarige Katze, die mit einer kleinen Maus kämpft. Alles Zeichen des Kampfes, Missgunst, Neid und Rivalität.

Nicholas White, Abgesandter der Königin Elisabeth I. von England besuchte Maria während ihrer Gefangenschaft und berichtet später:

»Ich fragte sie, wie sie sich die Zeit drinnen vertreibe, da das Wetter alle Übungen im Freien unterbrochen habe. Sie sagte, sie habe den ganzen Tag mit der Nadel gearbeitet, und die Vielfalt der Farben habe ihr die Arbeit weniger mühsam erscheinen lassen, und sie habe so lange daran gearbeitet, bis sie vor lauter Schmerz aufgegeben habe.«

Sicherlich sah Maria Stuarts Gefangenschaft mit Privatkoch, einem kleinen Hofstaat und dem Leben auf einer Burg anders aus als die vieler anderer zu ihrer Zeit. Dennoch hinterlassen 19 Jahre der Isolation und Bevormundung ihre Spuren. In ihren Stickbildern »spricht sie« über ihre Gefühle und Gedanken. Anhand von verschleierten Symbolen stellt sie ihre Geschichte und ihre Sicht der Dinge dar.

Am 18. Februar 1587 schreitet Maria in einem roten Kleid zum Schafott und wird auf Befehl der englischen Königin und ihrer eigenen Cousine hin enthauptet. Viele Quellen, sind sich sicher, dass Maria die Farbe »rot« bewusst gewählt hat. Sie steht für Katholizismus, Märtyrertum und (königliches) Blut.

Zurück bleiben ca. 350 Stickbilder, teils noch mit losen Enden (Hunter 2021, 33). »The Marian Hanging« und einige ihrer Einzelstücke werden heute im Victoria & Albert Museum in London aufbewahrt.

Ein Großteil der erhalten gebliebenen Stickereien ist im (halben) Kreuzstich gestickt, was eine weitere Verarbeitung zu Kissenüberzügen oder Wandbehängen vereinfachte. Meist wurde dabei mit gezählten Fäden gestickt. Heißt: Bevor der Sticker oder die Stickerin mit der Arbeit beginnt, werden die Stiche genau abgezählt und festgelegt (V&A 2023). Besonders viel stickte Maria während ihrer Gefangenschaft bei George Talbot, dem sechsten Earl of Shrewsbury. Seine Frau Bess übte ebenfalls leidenschaftlich das Sticken aus und leistete ihr häufig Gesellschaft.

»Die heute mehr als 400 Jahre alten, kunstvollen Tafeln, die Maria in dieser Zeit anfertigte, zeigen anhand einer Reihe verschleierter Symbole den widerständigen Stolz einer Frau, die nur wenig andere Möglichkeiten hatte, ihre Existenz zu kontrollieren« (V&A 2023)

Das Symbol einer rothaarigen Katze und einer grauen Maus spiegelt den unbehaglichen Konflikt zwischen Maria und der (rothaarigen) Elisabeth wider. Auch der lateinische Spruch »Virescit Vulnere Virtus« (Tugend gedeiht durch Verwundung) im Mittelpunkt des Wandbehangs thematisiert den Streit um die rechtmäßige Thronfolge. Begleitet wird der Schriftzug von einer Weinrebe und einer Hand mit einem Messer. Es suggeriert die Notwendigkeit, den unfruchtbaren Zweig des Tudor-Baums (Englisches Könighaus) abzuschneiden und verweist damit auf den unehelichen = damals illegitimen Anspruch Elisabeths auf den englischen Thron.

Eine weitere Legende erzählt von einem Kissen, welches Maria aus der englischen Gefangenschaft heraus an ihren Verlobten den Duke of Norfolk sendete. Es sollte ein harmloses Geschenk der Verehrung sein. Doch eigentlich planten die beiden ihre Hochzeit, um Elisabeth I. gemeinsam vom Thron zu stoßen. Die Pläne flogen auf und das Kissen wurde 1570 sogar als Beweismittel im Gerichtsprozess gegen den Duke verwendet.

Ein sehr machtvolles Symbol, welches sich in ihren Stickereien findet, ist der Phönix. Als mythologisches Wesen, das zur Regeneration fähig ist, ist er ein starkes Symbol für Unsterblichkeit. Und tatsächlich: 1603 wird ihr Sohn Jakob zum König von England und Irland ernannt. Damit beginnt die Herrschaft der Stuarts.

Tipp: Unter folgendem Link findet Ihr eine Replikation von dem Wandvorhang »Marian Hanging« und die Interpretation der einzelnen Bilder (in Englisch): https://www.edinburghcastle.scot/media/1127/mqos-replica-embroideries-leaflet.pdf

quellen:

Antonia Kleikamp (24.07.2021): Sie intrigierte, gründete eine Dynastie – und wurde geköpft. WELT-Online: https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article232691317/Maria-Stuart-Sie-gruendete-eine-Dynastie-und-wurde-gekoepft.html (letzter Zugriff: 25. April 2023)

Edinburgh Castle (30.05.2017). A Stich in Time. Website des Edinburgh Castle: https://blog.edinburghcastle.scot/a-stitch-in-time/ (letzter Zugriff: 30. April 2023)

Victoria and Albert Museum (2023). The prison embroideries of Mary, Queen of Scots. Website des Victoria & Albert Museums, London: https://www.vam.ac.uk/articles/prison-embroideries-mary-queen-of-scots (letzter Zugriff: 28. April 2023)

Photo Credit: Presented by Art Fund ©Victoria & Albert Museum, London (https://collections.vam.ac.uk/item/O137608/the-marian-hanging-hanging-mary-queen-of/)

liva hamburg, 30. april 2023