lis paludan
Die Puppe hatte ein lächelndes Gesicht, weiße Haut, schwarze Haare und vor allem eins: große Augen. Als ich vier Jahre alt war, nähte mir meine Mutter eine Puppe nach einem Entwurf von Lis Paludan.
Diesen Sommer führte mich der Weg nach Aarhus, DK an die Universität, um dort gemeinsam mit internationalen Studierenden an interdisziplinären Lösungen für den Klimawandel zu arbeiten. Was mich darüber hinaus interessierte war die »lokale« Handarbeitskultur. In Erinnerung an meine Puppe mit den großen Augen kam ich schnell auf Lis Paludan. Sie war/ist eine bekannte dänische Künstlerin und Autorin, die im Laufe ihres Lebens viele kreative Arbeiten herstellte und Bücher veröffentlichte. Nachdem wir in vergangenen Beiträgen bereits »vergessene« Frauenbiografien thematisierten, möchten wir heute über eine weitere Frau sprechen: Lis Paludan.
Gemeinsam mit Lis Paludan gehen wir auf eine Zeitreise nach Dänemark, wo sie 1934 geboren wird. Paludan wächst auf Møn auf, einer Insel im dänischen Teil der Ostsee, die zwischen der Südspitze Seelands und der Ostspitze Falsters liegt. Mit ihren wunderschönen Kreidefelsen erinnert die Insel ein bisschen an Rügen.
Schon früh entdeckte Lis Paludan ihre Liebe zur Kreativität: Sie spielte Klavier und zeichnete. Hinzu kam ihre Begabung für das Handarbeiten. Ihr Ziel war es schon früh Pianistin oder Zeichnerin zu werden. Diese Wünsche und Fähigkeiten wurden von ihrer Mutter und Großmutter geprägt, die ebenfalls sehr gut zeichnen und handarbeiten konnten.
Nach ihrem Schulabschluss besuchte Paludan die Kunstgewerbeschule in Kopenhagen, wo sie einige Jahre studierte. Im Jahr 1955 verließ sie die Schule mit einem Abschluss in Modezeichnen, Schnitt und Nähen.
Der Weg führte Lis Paludan von Kopenhagen nach Paris und Südfrankreich, wo sie zunächst für Leute nähte und humorvolle Zeichnungen anfertigte, um Geld zu verdienen.
Als Paludan in den 1960er Jahren aus Frankreich zurückkehrte, erhielt sie eine Anstellung als Stylistin bei der Zeitung »Alt for Damerne«, wo sie Fotografien, Layouts und kleine gezeichnete Vignetten anfertigte. Die Zeitschrift gibt es übrigens immer noch (https://www.alt.dk/), heute jedoch mit einem leicht anderen Fokus.
Nach ein paar Jahren beschloss Lis Paludan, zu kündigen und sich hauptberuflich selbstständig zu machen. Aufgrund ihrer vielfältigen Talente wurde sie schnell zu einer der führenden und bekanntesten Kunsthandwerkerinnen des Landes. Es ist aber auch Fleiß und unermüdliche Arbeit die Paludan in ihre Bücher und Kunstwerke steckt. Als alleinerziehende Mutter musste sie für den Lebensunterhalt sorgen und der Aufbau eines Unternehmens war harte Arbeit.
Ihre Schriftstellerkarriere begann Lis Paludan im Jahr 1969. Zunächst konzentrierte sie sich auf Bücher über verschiedene kreative Handarbeitsthemen. Zu Paludans frühen Werken gehören »Ideenbücher für Weihnachtsdekorationen«, Anleitungen »Über die Herstellung von Puppentheater« oder Ratgeber zum »Nähen mit Stoffresten«.
Dem Bildungsauftrag kam sie nicht nur in ihren Büchern nach; Lis Paludan unterrichtete auch als Lehrerin freies Häkeln an der dänischen Pädagogischen Hochschule. Ihr war es ein Anliegen nicht nur Kreativität und Spaß zu vermitteln, sondern auch den historischen Wert der Handarbeiten zu betonen. Dabei stieß Paludan schnell an ihre Grenzen, denn auf dem Gebiet gab es wenig wissenschaftliche Inhalte. Handarbeiten und Häkeln waren unbekannte Forschungsgebiete.
Zwischen 1980 bis 1985 wurde sie selbst zur Forscherin und widmete sich intensiv der Analyse aller Aspekte der Häkelgeschichte. Lis Paludan reiste durch Europa, besuchte Museen sowie Sammlungen und nutzt sogar Satellitenbilder in ihrer Forschung. Als Ergebnis dieser umfangreichen Recherche erschien 1986 ihr Werk »Häkeln – Geschichte und Techniken«, welches auch in der Wissenschaft besprochen wurde.
In dem Buch beleuchtet Paludan die Entwicklung des Häkelns als Handwerkskunst. Obwohl die Technik bis in die frühen 1600er Jahre zurückreicht, dauerte es bis 1885, bis das dänische Volksmuseum Häkelarbeiten in seine Sammlung aufnahm. Ursprünglich als Zeitvertreib der Oberschicht und »unnütze Luxusarbeit« abgetan, gewann das Häkeln trotz Widerständen in allen Gesellschaftsschichten an Popularität. Lis Paludan zeigte die unterschiedlichen Entwicklungen in Europa auf, von der praktischen Anwendung in Schottland bis zur künstlerischen Ausformung in Frankreich. Besonders in Irland spielte das Häkeln während der Hungersnot eine überlebenswichtige Rolle. Denn als Handwerksbetrieb bedeutete es für einen Großteil der Bevölkerung während der großen Hungersnot von 1845-50 das Überleben. Mit umfangreichen Illustrationen und Mustern bietet das Buch einen detaillierten Einblick in die Geschichte und Techniken des Häkelns und gilt bis heute als Pionierarbeit auf diesem Gebiet.
Paludans Veröffentlichungen reichen von Mitte der 1970er Jahre bis ins Jahr 2006. Im Laufe ihrer Karriere hat sie insgesamt über 20 Bücher verfasst, die in zahlreichen Ländern veröffentlicht wurden und ihr internationale Anerkennung einbrachten.
Lila, blau, grün, pink, gelb, orange, braun – es gibt wohl kaum eine Farbe, die in den Werken der dänischen Künstlerin und Autorin fehlen. Lis Paludans Arbeiten sind geprägt von Vielseitigkeit: Sei es hinsichtlich Farbe, Form, Verwendbarkeit oder Technik. Schaut man sich ihre Werke an findet man viele Kreise, Sonnen, lächelnde Gesichter und große Augen.
So sehr sich Paludan in ihren ausführlichen Recherchen mit der Geschichte der Handarbeit auseinandersetzte, so wichtig war ihr auch der universelle Zugang für alle. Die Vermittlung von Vielfalt und Spaß am Handarbeiten ist nicht nur in ihren Büchern, sondern auch in ihren Designs wiederzufinden.
»Sticken muss nicht heißen, eine vorgedruckte Linie mit einem bestimmten Garn in einer bestimmten Farbe brav nachzuarbeiten.« schreibt Paludan im Vorwort zu »Sticken mit Freude. Fröhliche Motive und Basteleien« welches 1970 erschienen ist. Mit ihren Büchern und mit ihrer Arbeit war es ihr Ziel dazu beizutragen möglichst vielen Kindern, Erwachsenen, Jungen und Mädchen zu zeigen wieviel Spaß Handarbeiten machen kann.
1934-2024 = Lis Paludan müsste heute 90 Jahre alt sein. Ob sie immer noch handarbeitet? Und wenn ja, macht es ihr immer noch so eine Freude? Meine Recherchen in Dänemark führten mich zu Per Sørensen, der bereits vor einigen Jahren auf seinem Blog über die Kunsthandwerkerin und Autorin berichtete. Er leitete mich an eine Freundin Lis Paludans weiter:
Ihre Freundin Helle Denckert De Visme berichtete mir, dass Lis heute 90 Jahre alt ist und in der Nähe von Kopenhagen lebt. Nach langer und schwerer Krankheit hat sie mal schlechtere und mal bessere Tage. Helle Denckert erzählt mir von einer spät entstandenen, aber innigen und herzlichen Freundschaft zu Lis Paludan. Die beiden lernten sich vor ca. 2 Jahren kennen und sind über die Liebe zum Handarbeiten eng verbunden. In ihren Erzählungen beschreibt Helle eine hingebungsvolle und inspirierende Frau, deren treibende Kraft immer der Wunsch nach der eigenen Neuerfindung war.
Die großen Augen der Puppe, die meine Mutter vor 20 Jahren für mich nähte, gehen mir nun nicht mehr aus dem Kopf. Sobald ich wieder zuhause bin, werde ich mich mal auf die Suche nach ihr machen.
quellen
quellenverzeichnis enthält externe links:
Denckert de Visme, Helle (ca. 2022): Besøg hos Lis Paludan – et haekleeventyr in Gavstrik, Kopenhagen: Dänemark.
Østergård, Else. “Lis Paludan: Haekling. Historie og teknik”. Folk og kultur, 1987, s. 202-.
Paludan, Lis (1974): Playing with Puppets, Mills & Boom Limited, London/Beccles/Colchester, Vereinigtes Königreich.
Paludan, Lis (1975): Neue Stick-Ideen mit vielen hundert Farbvorlagen, ariadne Handarbeitsbibliothek, Kluwerpers B.V., Utrecht: Niederlande.
Paludan, Lis (1976): Sticken mit Freude fröhliche Motive und Basteleien, ariadne Handarbeitsbibliothek, Eska-Verlag GmbH, Bielefeld: Deutschland.
Sørensen, Per: Lis Paludan in Danske Postkortkunstnere [online] https://www.piaper.dk/postkortkunstnere/Postkortkunstnere/Lis_Paludan/Lis_Paludan.htm (abgerufen am 08.09.2024).
liva hamburg, 08. september 2024