der fischermann john craske
Stürmisch jagen die kalten blauen Wellen, mit weißen Schaumkronen bedeckt, über die See vor Englands Nordseeküste. Im Jahr 1881 wird hier in einem kleinen Ort John Craske geboren. Als Sohn einer traditionellen Fischerfamilie ist sein Leben dem Meer gewidmet. Dieses hängt jedoch mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges und einer schweren Krankheit am seidenen Faden. John Craske beginnt zu Sticken. »Die Schiffsbilder von Mr. John Craske sind definitiv […] Kunstwerke«, schreibt die Times im Jahr 1929 über seine Arbeiten und etabliert ihn damit als anerkannten Künstler in der Londoner Kunst-Szene.
Seit jeher leben die Menschen im Küstenort Sheringham, an der Ostseite Englands, vom Fischfang. So auch die Familie von John Craske. Im Jahr 1881 wird er als drittes von acht Kindern geboren. Seine Eltern, Edward und Hannah Craske, stammten ebenfalls aus traditionellen Fischerfamilien. Die damit verbundene harte Arbeit und das schwer zu verdienende Geld, bewegte die Familie 1905 dazu nach Dereham zu ziehen. Die Krise in der Fischindustrie und das Herbeiströmen von Tourist*innen war der Niedergang des traditionellen Fischfangs. In Dereham eröffnete die Familie ein Fischgeschäft.
Trotz der wirtschaftlichen Veränderungen lag John Craske das Meer im Blut. Bereits im Alter von 14 Jahren fuhr er gemeinsam mit seinem Vater und seinen Brüdern raus, um auf hoher See zu fischen. 24 Jahre lang ist sein Leben von Salzluft, Meerwasser und Fischfang geprägt, bis seine Familie beschließt nach Dereham zu ziehen. Seine Frau Laura lernt er während der Gesangsstunden auf dem Marktplatz kennen, wo man sich damals traf, um gemeinsam Hymnen zu singen. Sie wird eine wichtige Rolle in seinem Leben einnehmen und sein »Fels in der Brandung« sein.
Als 1914 der erste Weltkrieg ausbricht, ist John 33 Jahre alt. Aufgrund seiner langjährigen, harten Arbeit auf See ist er körperlich schwach. Erst in einem dritten Versuch wird er 1917 von der Armee aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wurden nahezu alle akzeptiert. Noch während der Ausbildung erkrankt er an Influenza. Er wird als geistesgestört diagnostiziert und seine Frau Laura muss ihn aus einer Anstalt abholen. Sie erklärt sich dazu bereit sich fortan um ihn zu kümmern.
Immer wieder fällt er in benommene Zustände, die lange Zeit andauern. Als Behandlungsmethode schlägt sein Arzt Dr. Duigan frische Seeluft und Ablenkung durch künstlerische Tätigkeiten vor. Und so schaffen sich John und seine Frau Laura ein kleines Boot an, mit dem sie, wann immer es möglich ist, hinaus aufs Meer fahren. In den Zeiten, in denen es ihm seine Krankheit nicht ermöglicht, hinauszugehen, lernt Craske im Geiste zur See zu fahren. Er malt und stickt Bilder des Elementes, das ihm so wichtig war und welches er verstand wie kein anderer. Zwischen Dr. Duigan und John Craske entwickelt sich eine enge Freundschaft, die vom künstlerischen Austausch lebt. Noch heute besitzt die Familie des Arztes einen Großteil der Kunstwerke die Craske während seiner Krankheit anfertigt.
Aber auch Beziehungen wie die zur Galeristin Dorothy Warren sind es, die Craskes Schaffen als Künstler fördern. Dorothy Warren wird in den 1920er Jahren über die Poetin Valentine Ackland auf Craske aufmerksam, die ihr ein Holzspielzeug von Craske mitbringt. Ackland machte zu der Zeit Urlaub an der englischen Küste und kaufte eines der Holzspielzeuge, die Craske damals anfertigte, um ein kleines Einkommen zu haben. 1929 werden Craskes Werke erstmals in einer Londoner Galerie ausgestellt, und bekommen dort große Aufmerksamkeit. Die Daily Mail schreibt damals: » Das Werk, obwohl kindlich-naiv, ist von außerordentlichem Charme und dekorativer Wirkung« und ergänzt: »Der Held der Stunde selbst, ein bescheidener und gottesfürchtiger Mann, war nicht anwesend, da er schwer krank ist«. Einige seiner Werke werden an US-amerikanische Kunstsammler*innen weiterverkauft. Die Freundschaft zur Galeristin Dorothy Warren wächst und es findet eine zweite Ausstellung statt. Diese erreicht jedoch nicht den Erfolg der ersten und nach einigen Streitigkeiten bricht die Beziehung zu Dorothy.
Anfangs malte Craske nur. Er begann mit der Stickerei, weil er im Liegen die Nähte setzen konnte. Dabei verwendete er einen Liegestuhlrahmen als Spanner für den Stoff und alte Grammophonnadeln, um ihn einzuschlagen. Während seine künstlerischen Tätigkeiten entwickelt Craske seinen ganz eigenen Stil. Teilweise verwendet er auch eigene Stiche. Die meisten seiner Arbeiten, unabhängig von der Technik, beziehen Motive von Fischen, Wasser, Küsten und Stränden. Dazu erklärt John, dass einige seiner Ideen aus der Erinnerung stammten, während andere seiner Fantasie entsprangen. Diese wurde oft angeregt, wenn Freunde ihm von Schiffbrüchen oder glücklichen Fahrten auf See erzählten. Craskes Werke zeichnen sich durch ihre raue Art und gleichzeitig durch Detailtreue aus. Es heißt, er habe perfekt eingefangen, wie sich ein Boot in die Wellen legt, wenn es sich in den Wind lehnt.
1943 stirbt John Craske im Alter von 62 Jahren. Die Gräber von seiner Frau Laura und ihm sind heute auf dem Friedhof in Dereham auf der Cemetery Road zu besichtigen. Craske führte ein Leben geprägt vom Fischfang, der See, harter Arbeit, Schmerz und Krankheit, wie auch von Kreativität und der Zuflucht in eine andere Welt. John Craske hinterlässt nicht nur seine Sammlung an Gemälden und Stickbildern, sondern auch eine Art moderner Wandteppich. Auf knapp 4m Länge stellte er die Evakuierung Dünkirchens während des Zweiten Weltkrieges dar. An diesem Werk arbeitete er bis zu seinem Tod. Ein Fleck am Himmel muss immer noch ausgefüllt werden.
John Craske muss Hunderte von Bildern produziert haben. Die meisten davon sind heute nicht mehr da. Obwohl seine Werke mit dem Export in die USA ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit erreichten, gelangte sein Ruf nie über einen kleinen Kreis von Bewunderern hinaus. Ein möglicher Grund hierfür ist die mangelnde Anerkennung von Handarbeiten als Kunst. Als das Norwich Castle Museum 1947 um die Ausleihe einer großen Stickerei gebeten wurde, die dort aufbewahrt wurde, stimmte der Kurator nur unter der Bedingung zu, dass dessen Name nicht genannt wurde. Seine Begründung lautete: »Weil ich offen gesagt nicht glaube, dass eine Arbeit dieser Art unter die Rubrik Kunst fällt«.
Auch die Rolle der Männer in der Welt der Handarbeiten, ist eine viel zu wenig diskutierte. Wird das Handarbeiten, gemeinsam mit den häuslichen Tätigkeiten seit Jahrzehnten eher der Frau zugeschrieben, so gibt es auch zahlreiche Geschichten, die von handarbeitenden Männern erzählen. Es liegt in unserer Generation diese zu erzählen und ihnen mehr Präsenz zu verleihen.
quellen:
quellenverzeichnis enthält externe links:
aboutDereham: The Life and Work of John Craske, 1881-1943 [online] https://aboutdereham.org/john-craske/ [abgerufen am: 03.10.2023].
Blackburn, Julia (2015): Live on the wave: how fisherman turned artist John Craske was saved by the sea, The Guardian [online] https://www.theguardian.com/artanddesign/2015/mar/13/life-on-rocks-john-craske-saved-by-sea [abgerufen am: 03.10.2023].
DerehamHistory.com: The Life and Work of John Craske, fisherman and artist, 1881-1943 [online] https://www.derehamhistory.com/john-craske—fisherman-and-artist-1881-1943.html [abgerufen am: 03.10.2023].
Einen ganz besonderen Dank möchten wir gerne an das Sheringham Museum in Sheringham, Norfolk aussprechen, für die Zurverfügungstellung der Bilder zu John Craske. / We would like to express our special thanks to the Sheringham Museum in Sheringham, Norfolk, for providing the images of John Craske.
liva hamburg, 10. november 2023