brigitte schneidern – folklore

Wo beginnt kulturelle Aneignung? Das fragten wir uns, als wir das Buch »Brigitte, Schneidern –Folklore« von Kerstin Lokrantz (aus dem Schwedischen übersetzt von Rosemarie von Zitzewitz) durchblätterten. In dem 1978 im Mosaik Verlag in München (Deutsche Ausgabe) erschienenen Buch, werden verschiedene Folklore-Kleidungsstücke vorgestellt. Es geht um traditionelle Modelle aus verschiedenen Kulturen und wie man sich diese zuhause ganz einfach nachschneidern kann.

Im Inhaltsverzeichnis des Buches stolpert man über Begriffe wie »Lappenkittel«, »Djellabah«, »Präriehemd«, »Ruana« oder »Dirndlbluse« – Wie viele davon kennt Ihr? Wir kannten ehrlicherweise nicht alle. Die Autorin stellt auf rund 140 Seiten 24 verschiedene Folkloremodelle vor, erklärt woher sie kommen. Dazu gibt es schematische Schnittmuster.

Das Original erschien ebenfalls in den 70er Jahren unter dem Titel »Nya enkla kläder för barn och vuxna« = »Neue einfache Kleidung für Kinder und Erwachsene« in Stockholm. Der Titel bezieht sich hier nicht, wie im Deutschen, auf die Kulturen und Regionen, aus denen die Kleidungsstücke stammen. Dennoch erwähnt die Autorin die Herkunft der Schnittmuster im Vorwort und in den einzelnen Beiträgen. Mal mehr mal weniger gibt es Hintergrundwissen zu den einzelnen Modellen. Es wird erklärt welchen Einfluss die Materialwahl auf das Ergebnis haben kann und in welchen Variationen die Kleidungsstücke hergestellt werden können. Viele werden gleichermaßen von Mann, Frau, Erwachsenen und Kindern getragen. Der Fokus liegt in den einzelnen Beiträgen auf der Anleitung und Herstellung der Modelle. Es sind Fotos zu sehen, wie die Kleidungsstücke original getragen werden, als auch Zeichnungen.

Im Bezug auf die Sprache werden Begriffe genannt, die heute vorzugsweise nicht mehr verwendet werden. Wie: »Indianer« und »Eskimo«, hierbei handelt es sich um Bezeichnungen für (nord-) amerikanische Völker. Diese Bezeichnungen entstanden während der Kolonialisierung des amerikanischen Kontinentes durch die Europäer. Sie wurden den Völkern von ihren westlichen Eroberern auferlegt und vernachlässigen die Vielseitigkeit sowie Unterschiedlichkeit der (nord-) amerikanischen Stämme und sind deshalb kritisch zu betrachten. Jedoch ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass das Buch aus den 1970er Jahren stammt.

Die Modelle sind sehr schön und individuell geprägt. Neben Blusen, Oberteilen und Hemden, gibt es auch Schürzen, Mützen, Taschen und Röcke. Ein Teil der im Buch vorgestellten Stücke stammt aus Schweden. Dennoch sind diese in keiner Anordnung gesammelt oder werden hervorgehoben. Sie sind bunt unter die Modelle aus Südamerika, Afrika und Asien gemischt. Dabei sind im Einleitungstext auch immer wieder kurze Anekdoten zu anderen gesellschaftlichen Entwicklungen zu finden: So wird z.B. der lange Rock im Kontext der Emanzipation der Frau eingeordnet oder auch der Unterschied zwischen den verschiedenen sozialen Schichten erwähnt.

Ein Lappenkittel stammt aus dem nördlichen Teil Skandinaviens und ist ein warmes Überhemd. Die Djellabah ist ein Überwurf- und Kapuzenmantel mit langen Ärmeln aus Nordafrika. Das Präriehemd ähnelt dem Poncho und wird in Nordamerika meist aus Leder hergestellt. Auch die Ruana ist eine Art Poncho und stammt aus Kolumbien und Venezuela. Die Dirndlbluse kennen wohl die meisten, die aus dem südlichen Teil Deutschlands oder Österreich stammen: Es handelt sich um eine angekrauste Trachtenbluse.

Das Buch bietet einen kleinen Überblick über traditionelle Kleidungsstücke aus aller Welt. Die Frage bleibt, wie oberflächlich diese Kenntnisse sind. Aus welcher Sicht wurde das Buch verfasst und welche wichtigen Aspekte hat es nicht mit einbezogen? Und: Darf ich mir die Kleidungsstücke nachnähen/tragen, ohne gegen die ethischen Regeln unserer Zeit zu verstoßen?

quellen

Lokrantz, Kerstin (1978): Brigitte, Schneidern – Folklore, München: Deutschland, Mosaik Verlag.

andrea und liva hamburg, 20. august 2023